Jehovas Zeugen rufen jetzt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an
STRASSBURG — Das Gebäude, in dem sich noch vor Kurzem eine freudige christliche Gemeinde versammelte, steht jetzt leer. Es wurde von den russischen Behörden versiegelt. Damit wenden sie ein Gesetz an, das extremistischen Aktivitäten entgegenwirken soll, verletzen dabei aber die Rechte von Jehovas Zeugen auf freie Glaubensausübung.
Am 8. Dezember 2009 hat das Oberste Gericht Russlands die Berufung der Ortsgemeinde der Zeugen Jehovas in Taganrog (nahe der ukrainischen Grenze) abgewiesen und somit die Gemeinde praktisch aufgelöst. In diesem Entscheid wurden auch 34 religiöse Publikationen als extremistisch bezeichnet, unter anderem einige Ausgaben der international erscheinenden Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!. Seit dem Gerichtsentscheid vom 8. Dezember ist über Jehovas Zeugen in ganz Russland eine Welle religiöser Intoleranz hereingebrochen. Seit April 2010 hat es mindestens 265 Übergriffe auf Wohnungen und an Arbeitsplätzen gegeben; es kam zu Festnahmen, In-haftierungen und Beschlagnahmungen persönlicher Gegenstände. In sechs Fällen wurden Ermitt-lungsverfahren eingeleitet. Bezeichnenderweise hat die Medienaufsichtsbehörde am 26. April 2010 die Genehmigung widerrufen, die Zeitschriften Wachtturm und Erwachet! in Russland zu verbreiten. Diese Maßnahme belegt erneut, dass die russische Regierung die Rechte von über 158 000 Zeugen in Russland missachtet.
Da nun alle innerstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, hatte das Verwaltungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland für den 2. Juni eine Pressekonferenz anberaumt, um bekanntzugeben, dass am 1. Juni 2010 eine Beschwerde gegen das Urteil vom 8. Dezember 2009 beim EGMR eingereicht wurde. Im Januar 2007 hatte dieses Gericht bereits einstimmig zugunsten von Jehovas Zeugen im Fall Kuznetsov and Others v. Russian Federation entschieden: Die Polizei und eine Beauftragte für Menschenrechte hätten sich ungesetzlich verhalten und das Recht auf Religions-freiheit verletzt, als sie in eine völlig legale christliche Zusammenkunft von 150 gehörlosen Zeugen Jehovas in Tscheljabinsk eindrangen und sie abbrachen.
Lyudmila Alekseeva, Vorsitzende der Moskauer Helsinki Gruppe, bemerkte zu der Entscheidung des Obersten Gerichts: „Ich bin zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof dieses Urteil aufheben wird, und bedaure jedenfalls, sagen zu müssen, dass Russland in den Augen von ganz Europa wie ein unzivilisiertes, mittelalterliches Land dasteht, in dem Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten herrscht.“
„Wir hoffen immer noch auf ein faires Verfahren russischer Gerichte“, sagte Wassilij Kalin, Vorsitzender des Verwaltungszentrums von Jehovas Zeugen in Russland. Er fügte hinzu: „Genau deshalb hatten wir Mitte Mai beim Präsidium des Obersten Gerichts Rechtsmittel eingelegt. Trotzdem hielten wir es für nötig, vor den EGMR zu gehen, weil Jehovas Zeugen im ganzen Land schikaniert werden und es immer schwieriger wird, sich frei über seinen Glauben zu äußern und sich zum Bibelstudium zu versammeln. Jehovas Zeugen müssen daher jederzeit mit unbegründeten Festnahmen und Verhören rechnen.“
Medienkontakt:
Grigory Martynov (Russland), Telefon +7-812-702-26 91
Mario Moreno (USA), Telefon +1 (845) 396-07 11
Marc Hansen (Belgien, European Association of Jehovah’s Christian Witnesses),
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