Am vergangenen Sonnabend trafen sich in Bagemühl bei Brüssow bei Prenzlau bei Stettin Vertreter der beiden Hälften unserer Gesellschaft: die Orgelfreunde und die Orgelfeinde sowie ein Hund.
Es stimmt schon, die Orgel ist, wenn man ihre Sprache nicht so recht versteht, nicht so recht verständlich. Dann ist Orgel wie Kaschubisch oder Chinesisch. Man ahnt schon, was der andere will, aber man traut sich nicht, es zu glauben.
Der Zufall wollte es, dass in diesem Frühling in dem kleinen Dorf Bagemühl drei seltsame Dinge passierten: erstens rückte das Dorffest näher und näher, zweitens kam auf wundersamen Wegen die sanierte Orgel zurück und drittens wurde in Berlin ein ausgesetzter Hund gerettet. Das seltsame am Dorffest ist, dass es sonst immer ganz alleine das Sommerloch füllen muss. Die Orgel ist insofern ein Wunder, dass sie beinahe vom beinahe einstürzenden Dach der Kirche zerstört worden wäre. Feind Hausschwamm wurde aber noch so rechtzeitig entdeckt, dass der Einsturz aufgehalten werden konnte. Es wurde eine Orgel bewahrt, die zwar kriegsbedingte Demontagen hinnehmen musste, jedoch keine reichtumsbedingten Umbauten. So ist sie fast original vom großen Orgelbauer Barnim Grüneberg aus Stettin auf uns gekommen. Der Hund wurde von seinen Besitzern ausgesetzt, im Tierheim von Tierfreunden abgeliefert und durch familiäre Bande kam er nach Bagemühl, wo er sich wohlfühlt und auf dem Dorffest, während der 1. Bagemühler Dogshow, vorgeführt wurde.
Was haben die drei nun miteinander angefangen? Der Hund fraß die Bratwurstreste. Im Festzelt waren immer über 100 Leute und feierten fröhlich trotz allerschlechtesten Wetters. In der Kirche gab es fünf Veranstaltungen mit insgesamt knapp 200 Besuchern.
Im Festgottesdienst tat man zunächst so, als gäbe es immer noch keine Orgel: man sang einen Choral, um zu zeigen, wie dürftig es klingt, wenn Menschen zwar frohen Mutes, aber doch ohne jegliche instrumentale Hilfe zu singen versuchen. Sodann trat eine einzelne Trompete herzu, sozusagen die Taschenorgel des Menschen. Nach der Weihe durch den jungen, erfrischenden Pfarrer Matthias Gienke durfte nun auch die Orgel erklingen, gespielt vom Kreiskantor Daniel Debrow aus dem nahen Penkun. Die Predigt befasste sich mit dem naheliegenden Gedanken der Nähe von Kunst und Religion. Wer traut sich, die beiden zu unterscheiden? Gleich anschließend spielte der Landeskirchenmusikdirektor Prof. Frank Dittmer aus Greifswald, nachdem er die Bedeutung der Orgelbauerfamilie Grüneberg aus Stettin in einem kurzen Vortrag erläutert hatte. Sein Spiel war bewundernswert und bestätigte einmal mehr, dass es nicht auf die Größe des Instrumentes, sondern auf die Größe der Fähigkeiten ankommt. Obwohl Buxtehude auf dem Notenpult lag, spielte er romantische Musik. Und weil er seine Noten beim letzten Konzert am Vorabend liegen gelassen hatte, improvisierte er, wie Robert Schumann auf dieser bewundernswerten kleinen Orgel gespielt hätte. Das Publikum schwankte zwischen Begeisterung und Jubel.
Er wurde Ehrenmitglied des st. sophien orgel e.v. brüssow, der zusammen mit dem Bagemühler Dorfverein e.V. das Event in Bagemühl geplant und organisiert hatte.
Dann gab es Mittagessen.
Etwas schlechter besucht war das kleine, aber feine Konzert des Loitzer Kreiskantors Michael Jandek. Er spielte elf Choralvariationen von Pachelbel, elf Teile einer Orgelmesse von Muffat und elf der dreißig Spielstücke für die Kleinorgel von Hugo Distler, der sich erschossen hatte, um nicht Täter und Opfer zu werden, wie jene vierzig Bagemühler, die die ganze Zeit von ihrer Tafel herab mahnten: make music not war.
In der ersten Bagemühler Hundeshow wurden fast professionell jene Hunde vorgestellt, die vielleicht jeder im Dorf kennt, aber noch nie so nah gesehen hat. Mein Star war jener alte Hund mit Migrationshintergrund aus dem Berliner Tierheim. Der kann sich über eine neue Heimat freuen!
Zum Festkonzert hatten sich wieder angemessen viele Besucher eingefunden. Die beiden Musikstudenten Lukas Storch aus Lychen und Timofej Stordeur aus Moor erfreuten mit bekannten und weniger bekannten Schönheiten aus der Barockmusik, etwa das Konzert in D-Dur von Torelli, das die Heiterkeit verbreitete, die das Wetter dem Fest schuldig blieb. Aber auch zwei romantische Stücke, passend zur Orgel, lieferten eine wohltuende Stimmung. Die beiden Jungstars wurden gefeiert, hatten aber nur eine Zugabe vorbereitet.
Viel Mühe kostet es, Kinder und Jugendliche zu einer kleinen Show zu trainieren, die es unter dem Namen Bagemühler Dorfdancer schon zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Dieses Ereignis ließ sich niemand entgehen. Etwaig gerümpfte Nasen verblieben nicht in ihrer hässlichen Stellung, sondern entspannten sich zur Bewunderung der Ausdauer und Fähigkeiten, die in jedem Tanz liegen.
Noch knapp vierzig Sängerinnen und Sänger trafen sich dann auf der Orgelempore, um, begleitet wiederum von Lukas auf der Orgel und Timofej mit der Trompete, Volkslieder zu singen, Volkslieder, nicht zu Schlagern mutierte Heimtatschnulzen. Bei ‚Im schönsten Wiesengrunde‘, obwohl zur Lage im Randowtal durchaus passend, gingen die Stilvorstellungen weit auseinander. Nachdem zum Schluss doch noch der ‚bagemyl kanon‘ uraufgeführt wurde, ging man auseinander im guten Gefühl einer Gemeinsamkeit.
Diese Gemeinsamkeit war in diesem Jahr die kleine Orgel von 1877, von deren sechs Registern bisher nur vier spielbar sind. Aber diese vier Stimmen passen so hervorragend in den akustisch perfekt gebauten Raum, dass es an ein Wunder grenzt. Die Akustik bleibt auch so gut, wenn der Raum mit hörenden Menschen gefüllt ist.
Allen wurde an diesem Tag klar oder, wenn es ihnen schon klar war, klarer, dass eine Orgel ein kleines Blasorchester ist, ein Flötenchor, eine Schar Kuckucke mit Lerchen und Schwalben, ein Janitscharenkorps, die Nachahmung eines Orchesters in einem Kasten, eines Orchesters, das ja selbst die Natur nachahmt. Allerdings kann die Musik die Natur soweit abstrahieren, dass zum Schluss nur noch Zahlenverhältnisse übrig bleiben. Aber das hört man alles nicht. Was man hört, ist aufregend oder beruhigend, beschreibend oder beschreiend, wunderbar, voller Wunder, auch wunde Punkte nicht auslassend, ausgelassen fröhlich, traurig bis zum Weinkrampf. Und weil kein anderes Instrument das alles abbilden kann, heißt die Orgel die Königin der Instrumente, und in Bagemühl, das Gott liebt (bogo mil), steht eine kleine Königin. Nebenbei gesagt, man kann die Welt einteilen in Orgelfreunde und Orgelfeinde, in Arme und Reiche, in Schwarze und Weiße, aber nicht in Musikfeinde und Musikfreunde. Auch das hat sich in Bagemühl am letzten Sonnabend gezeigt. Und auch der gefundene Hund mit seinem gefundenen Fressen fand Freude.
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