Eine einfaches braunes Kuvert, mit einem selbstklebenden weißen Etikett beschriftet; ein Stempel der spanischen Post. Die Absenderin: Lucía H. aus Saragossa. Der Brief sieht harmlos aus, doch sein Inhalt ist für den Empfänger von großer Bedeutung: 200 original verpackte Tabletten mit dem Wirkstoff Diazepam zum Preis von 67,90 Euro. Der Empfänger hatte von einem Freund erfahren, dass man bei einem bestimmten Shop Diazepam online kaufen kann. Die Bestellung war schnell erledigt, der Postweg dauerte zehn Tage. Er war nicht beim Arzt und hatte auch kein Rezept. Dafür war der Käufer bereit, einen etwas höheren Preis zu zahlen. In einer deutschen Apotheke kosten die Tabletten mit Privatrezept ca. 58 Euro.
In vielen Shops kann man heute bequem und komfortabel auch ein Medikament wie Diazepam online kaufen. Eine Suche bei Google liefert rund 900.000 Treffer. Die Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände schätzt, dass im Jahr 2017 so viele Medikamente bei nicht zugelassenen Online-Shops verkauft wurden wie bei den zehn größten regulären Internet-Apotheken zusammen. Die Zielgruppe sind vor allem Herr und Frau Normalbürger. Benzodiazepine, Potenzpillen, Anabolika, Schlaftabletten und Aufputschmittel wechseln im Internet ihren Besitzer, ohne dass Fragen gestellt werden. Mit diesen Medikamenten beruhigen sich aufgeregte Hausfrauen, bereiten sich Studenten auf ihre Prüfungen vor oder schwingen Kraftsportler ihre Hanteln, glänzen Rentner vor ihrer Geliebten mit Stehvermögen und halten Arbeiter die Nachtschicht durch.
Seit langem warnen Experten davor, bei nicht zugelassenen Händlern Medikamente zu bestellen. Angeblich sei die Ware zum größten Teil gefälscht und berge ein hohes Gesundheitsrisiko. Ein bekanntes Verbrauchermagazin wollte herausfinden, ob das stimmt, und gab sieben Bestellungen für Diazepam bei sieben verschiedenen Shops auf.
Das Ergebnis: Nur die Sendung aus Indien enthielt ein gefälschtes Produkt. Die Tabletten bestanden laut der Analyse des Labors aus einem Hilfsstoff auf Basis von Laktose und einer kleinen Menge blauer Farbe. Einen aktiven Wirkstoff gab es aber nicht.
Sechs Pakete enthielten das bestellte Medikament. Vier Packungen waren in Spanien produziert worden, eine in Portugal, eine in der Türkei und eine in Indien. Das Labor stellte fest, dass es sich dabei „mit einer Sicherheit von 99,9 % um Originale“ handelt.
In der Zentrale des Herstellers in der Schweiz wollte man von diesen Ergebnissen nichts wissen. In einem kurzen Schreiben wies ein Sprecher des Unternehmens darauf hin, dass man seine Produkte nur auf legalem Wege verkaufe. Wie die Produkte in die Kanäle des grauen Marktes gelangt seine, entziehe sich deshalb seiner Kenntnis. Den in der Anfrage geäußerten Verdacht, dass der Konzern in Einzelfällen selbst den grauen Markt beliefert, bezeichnete der Sprecher als „völlig aus der Luft gegriffen“.
Da es sich kaum vermeiden lässt, dass einzelne Personen auch weiterhin in Online-Apotheken Diazepam kaufen, bleibt den Ärzten, die ihre Arbeit ernst nehmen, nur die Möglichkeit, bei einem entsprechenden Verdacht beratend auf die Patienten einzuwirken und diese nach Möglichkeit über den sicheren Gebrauch des Medikamentes zu beraten. Viele Ärzte sehen darin sogar eine Chance, dem Missbrauch von Medikamenten professionell zu begegnen. Früher haben Patienten ihren Arzt gewechselt, um dort an neue Rezepte zu kommen. Heute bleiben sie eher bei ihrem Hausarzt und wechseln nur die Bezugsquelle.
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