"Allein im Dunkel wälze ich die Welt in meinem Kopf, durchlebe den nächsten Kampf mit meiner Schlaflosigkeit, die nächste weiße Nacht in der großen amerikanischen Wildnis." Paul Austers erste Sentenz in seinem wundervollen Roman 'Mann im Dunkel' aus dem Jahr 2008 - deutsch bei ROWOHLT - beschreibt schon recht gut den singulären, ja, allumfassenden Ausgangspunkt und Schauplatz des Werks. Es ist das Haus von August Brill, dereinst Literaturkritiker von Rang und preisgekrönt, welches in Trauer. Brills Ehefrau Sonia starb - und auch seine mit ihm lebenden Töchter des gut bürgerlichen Hausstandes haben Verluste zu beklagen. Der Freund der jungen Tochter, begabter Nachwuchsliterat unter Brills Fittichen, zog in den Irakkrieg, wo er sinnlos gequält und ermordet ward. Jenes stellt sich schlussendlich heraus - in drastischen sprachlichen Bildern auch. Doch: Bis es soweit ist, hat August Brill, welcher die Folgen eines Autounfalls daheim im Trauerhaus zu allem Überfluss auskuriert, noch eine Geschichte zu erzählen. Paul Auster gelingt es in 'Mann im Dunkel' meisterhaft, Brills private, derzeitige Situation mit jener Geschichte zu verbinden, welche sich im Kopf des Protagonisten abspielt. Es ist die Geschichte in der Geschichte. Denn August Brill will sein erstes Buch zur Publikation bringen. Nicht zuletzt deshalb braucht er seine Gedanken. Privat liegt er tagelang in einejm abgedunkelten Zimmer seines amerikanischen Trauerhauses, räsoniert temporär über seine Familie, die Vergangenheit. SEINE (fiktionale) Historie von Mr. Brick, einem US-Geheimsoldaten wider Willen - aus der Zeit gefallen. Jener fiktive Soldat Brick erhält von der amerikanischen Geheimpolizei den Auftrag, die Welt und damit Amerika von Leid Elend und Krieg zu erlösen. Dies soll vonstatten gehen, indem Brick jenen Mann zu Tode, bringt, welcher durch seine Fantasie, ja, Erfindung der zweiten Realität Leid und Elend über die Welt gebracht hat - August Brill. Paul Auster erfasst so in seinem Roman 'Mann im Dunkel' verschiedene Realitätsebenen - die einwandfreie und jene in den Köpfen. Soll sich der brave Soldat Brick tatsächlich strafbar machen, den Autor jener Zeilen töten und so von Frau und Family im Gefängnis für immer getrennt sein? Und, wie kommt man überhaupt in jene andere Realität? Wohl durch eine Spritze, welche die Agenten der Zeit verabreichen. Paul Austers vielschichtiger Roman 'Mann im Dunkel' ist auf nur 219 regulären Buchseiten eine Verbeugung vor dem literarischen Schaffen emotional Gestrandeter. Gleichzeitig bezieht er aktuelle Geschehnisse der Zeitgeschichte wie den 11. September 2001, George W. Bush oder den Irakkrieg geschickt in seine weitgehend autonom agierende Handlungskette ein. Der Mann im Dunkel am Puls der Zeit, möchte man dem amerikanischen Bestsellerautor nachrufen. In einfacher Sprache bringt Auster jenes, was er zu sagen bereit, zwingend auf den Punkt: Familiengeschichte und "story in the story" - bis zum bitteren Ende konsequent durchdekliniert, bis zum 'point of no return'. ''Mann im Dunkel' ist eine glanzvolle Parabel um Krieg und Macht, eine einfühlsame reflexion über das Altern. Die Liebe und ihren Verlust. Ein literarisches Vexierspiel, souverän erzählt und unerbittlich.', urteilt der Verlag. Die Neue Züricher Zeitung schrieb einst: "Paul Auster ist ein begnadeter Geschichtenerzähler." Sei es drum. 'Mann im Dunkel' zu lesen macht einfach Spaß und ist keine allzu schwere Kost. Schlussendlich die letzte Sentenz des, nennen wir es ruhig, epochalen Werkes von Paul Auster, schlicht: "Die wunderliche Welt dreht sich weiter." (Aus dem Poem einer mäßig begabten Literatin.) Entzückend!
HUMORISTISCHES
Bleibt ein Bonmot aus der Literaturwelt: "Ostberlin, Mitte der siebziger Jahre: Ein Offizier der Volkspolizei beobachtet im Park einen alten Mann, der ganz vertieft in einem Buch in fremder Schrift liest. Er stellt den Mann zur Rede: „Was lesen Sie denn in dieser fremden Schrift?“ „Das ist hebräisch“, erklärt der Alte, „das spricht man in Israel.“ „In Israel? Nach Israel werden Sie wohl kaum ausreisen dürfen“, antwortet der Offizier. „Ja. Das stimmt. Aber hebräisch ist auch die Sprache des Himmels!“, erklärt der alte Mann. „Und was wollen Sie machen, falls Sie in die Hölle kommen?“, fragt der Offizier. „Ach“, beruhigt ihn der Alte, „dort habe ich ja dann ohnehin kein Verständigungsproblem – russisch habe ich bereits in meiner Schulzeit gelernt.“ Huuh!
DER AUTOR PAUL AUSTER
Wikipedia sagt: "Auster wurde am 3. Februar 1947 in Newark, New Jersey geboren. Die Eltern seines Vaters Samuel waren jüdische Immigranten und stammten aus Stanislau in Galizien, dem heutigen Iwano-Frankiwsk. Auch seine Mutter Queenie Bogat war eine Nachfahrin osteuropäischer Juden aus der Ukraine und Polen. Am 12. November 1950 kam Austers Schwester Janet zur Welt. Die Geschwister wuchsen in einem mittelständischen, bildungsbürgerlichen Umfeld auf. Bereits 1959 begann Auster, Gedichte und kleine Aufsätze zu schreiben. Mit dreizehn Jahren, als er seine Bar Mitzwa feierte, erwog er Rabbi zu werden. In seinem letzten High-School-Jahr ließen sich seine Eltern scheiden. Er und seine Schwester lebten nach der Trennung bei ihrer Mutter. Schon im frühen Jugendalter entwickelte sich Auster zu einem passionierten Bücherleser, der regelmäßig die Stadtbibliothek aufsuchte. Der Roman Schuld und Sühne von Fjodor Dostojewski löste in ihm den Wunsch aus, selbst Schriftsteller zu werden. Austers zweite Leidenschaft jener Tage galt dem Sport. Seine Mitschüler beneideten ihn wegen seiner guten Leistungen in Baseball, Basketball und Football. Regelmäßig wurde er in ein Sommerferiencamp im Norden New Yorks geschickt und kam dort mit vielen gesellschaftlichen Außenseitern in Berührung. 1966 beendete Auster die High School, seine Mutter war nun in zweiter Ehe verheiratet. Auster demonstrierte gegen den Vietnamkrieg, wurde einmal verhaftet. Er traf zum ersten Mal die Schriftstellerin und Übersetzerin Lydia Davis, seine spätere erste Frau. Lydia Davis’ Vater, ein Englisch-Professor, brachte Auster die französischen Dichter nahe. Während eines einmonatigen Aufenthalts in Paris entdeckte Auster seine Vorliebe für die französische Sprache und Kultur. Er reiste nach Italien, Spanien und auf den Spuren von James Joyce nach Dublin. Zurück in Paris begann er eine intensive Auseinandersetzung mit Lyrik, und er schrieb Drehbücher für Stummfilme. Ab 1968 entstanden erste Romanentwürfe." |